Mannheimer Morgen: Für zehn Pfennig öffentlich abtauchen

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Neckarstadt: 60 Teilnehmer beim Blick „Hinter die Kulissen“ mit Landtagsabgeordneter Helen Heberer
Für zehn Pfennig öffentlich abtauchen

"Ungefähr vor 62 Jahren habe ich noch in einer solchen Badewanne gesessen", erzählt Alfred Maier. Der heute 77-jährige Neckarstädter kann sich noch gut an seine Kindheit erinnern, als es in den meisten Wohnungen noch keine Badezimmer gab und sich die Toiletten vielfach auf halber Treppenhöhe befanden und von mehreren Mietparteien genutzt wurden. Damals ging er zur Körperreinigung regelmäßig in das Alte Volksbad in der Mittelstraße. Es waren die Jahre, in der die Neckarstädter Einrichtung wie auch die anderen zehn öffentlichen Badeanstalten in Mannheim ihre Blütezeit erlebten.

Einen Blick in diese längst vergangene Epoche der Körperkultur warfen rund 60 Teilnehmer bei einer Führung durch das Alte Volksbad. Es war die 27. Veranstaltung aus der Reihe "Hinter den Kulissen", zu der die Landtagsabgeordnete Helen Heberer (SPD) eingeladen hatte. Viele Erinnerungen wurde wach, als die Teilnehmer unter der sachkundigen Anleitung von Klaus Hertle von der Geschichtswerkstatt Neckarstadt die Badegelegenheiten vergangener Tage bestaunten. In zwei Trakten, einem für Männer und einem für Frauen, waren zwölf Badewannen und Duschen untergebracht. Hellgelb gefliest, entsprach die Badeeinrichtung ganz dem Geschmack der Zeit.

Am 13. Dezember 1930 war das Alte Volksbad eröffnet worden und konnte schon bis zum Jahresende 700 Nutzer verzeichnen. Der Neubau ersetzte damals das "Volksbrausebad Neckarstadt", das 1890 an derselben Stelle eingerichtet worden war und zusammen mit dem Volksbad in der Schwetzingervorstadt die ersten öffentlichen Bademöglichkeiten in der Quadratestadt bot. Zwölf Duschkabinen gab es für Männer und vier für Frauen. Eine Aussage, die eine Teilnehmerin schmunzelnd zu der Bemerkung veranlasste: "Da waren die Männer wohl schmutziger als die Frauen." Das Volksbrausebad wurde infolge der wachsenden Bevölkerung bald zu klein, so dass es dem heutigen Komplex weichen musste. Bei dem Neubau kamen zusätzlich zu den Duschen dann auch die Wannen dazu. Kostete im ehemaligen Brausebad die Körperreinigung zehn Pfennige, waren nach dem Umbau 30 Pfennige fällig. Dafür gab es ein Stück Seife, ein Handtuch und man konnte die Dusche oder Wanne für eine halbe Stunde nutzen. Bademeister achteten streng darauf, dass die Zeit eingehalten wurde.

1985 wurde das Alte Volksbad noch einmal renoviert, Ende 1988 hatte es sich aber "ausgebadet" und die Einrichtung wurde geschlossen. "Der Bedarf war soweit zurückgegangen, dass es einfach nicht mehr nötig war, für die Allgemeinheit ein Wannenbad zu betreiben", erläuterte Klaus Hertle. Heute gibt es nur noch im Herschelbad eine öffentliche Einrichtung, in der Wohnsitzlose, Straßenkinder oder ältere Menschen, die daheim allein nicht mehr in die Badewanne können, mit der Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern baden können.

Nachdem die Stadt 2007 von einem Verkauf Abstand genommen hatte, erlebt das Alte Volksbad in der Neckarstadt derzeit einen neuen Frühling. Nach der Renovierung der oberen Geschosse, die von den Teilnehmern ebenfalls kurz besichtigt werden konnten, sind und werden dort unter anderem Unternehmen aus der Kreativwirtschaft angesiedelt.

Die Geschichtswerkstatt Neckarstadt e.V. dagegen nutzt die Räumlichkeiten mit den Wannenbädern im Untergeschoss für kulturelle Zwecke, wie Lesungen und Ausstellungen, insbesondere, so ist es geplant, zur Stadtteilgeschichte. Ein Umstand, der Helen Heberer besonders freute, die mit ihren Blicken "hinter die Kulissen" versuchen möchte, "Verborgenes in Mannheim zu entdecken und damit die Menschen zu unterstützen, deren Anliegen es ist, dass diese Orte für die Nachwelt erhalten bleiben." bh

© Mannheimer Morgen, Freitag, 13.04.2012

 
 

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