Mannheimer Morgen: Große Worte und kleine Formate

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Wunder der Prärie: In der Hafenstraße im Jungbusch startet Zeitraumexit die siebte Auflage des Festivals für zeitgenössische Kunst zwischen den Genres
Große Worte und kleine Formate

Von unserem Redaktionsmitglied Ralf-Carl Langhals

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Naja, das ist meist leichter gesagt als getan. Die Arbeitsgemeinschaft Anastrophale Stadt (AG AST) hat es zumindest vor. Im Rahmen des Festivals Wunder der Prärie arbeitet das Künstlerteam um Georg Winter an nichts Geringerem als der Zukunft Mannheims. Zu diesem Zweck hat die AG AST direkt an der Promenade am Rande des Hafenbeckens im Jungbusch einen Holzcontainer aufgestellt, um in Kontakt mit der Bevölkerung des Stadtteils zu treten, Vorschläge anzunehmen und Utopien mit den Anwohnern zu entwickeln.

Kurz bevor die AG ihren Dienst aufnehmen wollte, wurde der Infopavillon durch einen Brand stark beschädigt. Das Wort Brandstiftung nimmt keiner in den Mund: "Man hat den Kontakt aufgenommen", soll Georg Winter zu dem Vorfall gesagt haben. Humor ist eben, wenn man trotzdem lacht, und so hängt am reparierten Holzhaus nun ein Schild mit den Worten "Wir lieben euch auch! Nur nicht so heiß." Fortsetzung folgt hoffentlich, denn zu sehen gibt es sonst freilich noch nichts.
Kunstkritischer Humor

Nicht ohne Ironie kommt auch der kroatische Performer Igor Grubic aus, der im Hof des glänzend besuchten Festivalzentrums friedlich und reichlich unspektakulär an einem Tisch sitzt und verkauft. Und zwar dreimal das gleiche Objekt zu unterschiedlichen Preisen. Ein hundsgewöhnlicher Backstein kann dort als solcher für 3 Euro erworben werden. Als "Waffe" kostet die gleiche Ware bereits 30 Euro, als "Skulptur" aber stolze 300 Euro. Kunst spielt sich also im Kopf und im Geldbeutel ab...

Stellvertretend für den verhinderten Oberbürgermeister betonte Landtags- und Stadtabgeordnete Helen Heberer (SPD) mit - im positiven Sinne - warmen Worten, dass Mannheim die durch Wunder der Prärie vertretene Kunstform ein großes Anliegen sei. Heberer würdigte die "interdisziplinäre Kunst mit transdisziplinärem Konzept", auch im Hinblick auf die kooperierenden Festivalpartner, die Mannheim auch mit den Kunststädten Düsseldorf, Wien und Berlin in Verbindung bringe. Ferner betonte sie die erstmalige Unterstützung des Festivals durch die Bundeskulturstiftung als besondere Auszeichnung. Kuratorin Gabriele Oßwald schloss an und begrüßte Landtagsabgeordnete, Achim Weizel (Mannheimer Liste), Sponsoren und weitere Honoratioren - wie es sich gehört. Viel Wahres sprach die Festivalleiterin über die Eventisierung der Kunst und die schwelende Forderung nach Fusion mit dem Lifestyle, wurde leider allzu grundsätzlich, beklagte zu Recht die Situation der freien Kunst in Mannheim und Baden-Württemberg ... Ob die Begrüßungsrede zu einem bekanntlich lebendigen Festival allerdings der rechte Zeitpunkt für eine 40-minütige Philippika ist, das ist freilich eine andere Frage.

Am Spielort Kantine kam man wortlos aus, musste sich aber dafür seinen Weg zur Kunst selbst bahnen, und zwar durch wild angehäufte Stühle. Eingreifen war hier erwünscht, und wer er es tat, kam zu Jörn Burmesters "Landkarte der Visionen". "What's your name? - What's your vision?" Nach Name und Visionen des Publikums fragt der Künstler und erhält auf seiner Zettelwand mit großem Auge Antworten wie "Bedingungsloses Grundeinkommen" oder "Fair Play". In zwei goldenen Videoboxen mit Kuschelteppich-Interieur wird es ernst: "wenn ich weg bin" von Harder & Schultz schneidet grobkörnige Kindheits- und Lebenserinnerung auf versetzter Tonspur gegen individuelle Vorstellungen über das eigene Sterben und berührt trotz nervigen Stuhlgerumpels von außen.

Auf dem Weg abwärts in die Kaprow-Bar ermuntern einen auf Videowürfeln philosophische Botschaften, die sich auf den zweiten Blick als banale Werbeslogans entpuppen: "just do it. color your life. never stop thinking ..."

Im Kubus ging es mit den Kanadiern von PME-Art munter zu, gerade weil dort "DJs, die zu viele Informationen gaben", am Werk sind. Die Erinnerungsperformance mit 120 Schallplatten, die von Soul Classics bis Knef, von Fehlfarben bis Elvis reicht, führt uns charmant vor, wie sehr wir uns von Musik emotional durchs Leben leiten lassen. Alles in allem ein offener, kleinformatiger und sensationsfreier Abend, der in angenehmem Kontrast zu den großen Eröffnungsworten steht ...

Mannheimer Morgen
9. September 2011

 
 

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